Interface Impossible oder Der Leuchtturm im Keller

Interface Impossible oder Der Leuchtturm im Keller

Der neue Stromzähler ist da! Ein schwarzes Kästchen, unscheinbar und doch so voller Versprechen: Er soll uns helfen, den Verbrauch zu optimieren, CO2 zu sparen und wahrscheinlich auch, morgens bessere Laune zu haben. Dachten wir.

Mein Mann und ich, hochmotiviert und bereit, unseren Beitrag zur Energiewende zu leisten, standen also erwartungsvoll vor diesem kleinen Quader im Keller. Schon liefert er brav die Werte für den Grundverbrauch. Doch jetzt wollten wir endlich die detaillierten Verbrauchsdaten auslesen – der wahre Schatz an Informationen, der uns helfen sollte, unseren Haushalt zu optimieren.

Die Hürde? Das magische Wort "PIN-Eingabe über Lichtimpulse" und eine "optische Schnittstelle". Nach gefühlt ewiger Wartezeit war die verheißungsvolle PIN endlich per Post eingetroffen. Vier Ziffern, die das Tor zu unseren Verbrauchsgeheimnissen öffnen sollten.

Das Handbuch: Eine Kurzgeschichte der Missverständnisse

Bevor du fragst: Ja, das Handbuch war da. Ein schlankes, A5-großes Heftchen, das aussah, als hätte es in Eile noch vor dem Versand ausgedruckt werden müssen. Es sprach von "PIN-Eingabe über Lichtimpulse". Das klang nach Science-Fiction, war aber leider bitterer Ernst.

Wir mussten also eine Taschenlampe auf eine bestimmte Stelle halten und dann blinken – ja, blinken! – um eine PIN einzugeben. Du erinnerst dich an Morsezeichen? Genau so. Nur mit Stromzähler und ohne den Funken eines Rettungsschiffs am Horizont.

Mein Mann, ewiger Optimist, schnappte sich die stärkste Taschenlampe. Ich, knallharte Realistin, ahnte Böses.

Der Tanz mit der Taschenlampe

Versuch 1: Die Choreografie des Scheiterns. „Okay, pass auf“, sagte mein Mann, die Stirn in Falten gelegt, als wäre er dabei, eine Atombombe zu entschärfen. „Einmal kurz für Null, zweimal für Eins, dreimal für Zwei…“ Unsere vierstellige PIN schien auf einmal eine komplexe Sinfonie zu sein. Er begann zu blinken. Blink. Blink-Blink. Blink-Blink-Blink. Der Zähler blieb stumm. Keine Reaktion. Nichts. Stille. Nur das leise Surren unseres alten Kühlschranks, der uns wohl auslachte.

„Vielleicht war der Abstand nicht richtig?“, murmelte er. „Oder das Blinken zu unregelmäßig?“, konterte ich, während mir die Absurdität der Situation schmerzlich bewusst wurde. Wir standen hier, zwei erwachsene Menschen, und versuchten, einen Stromzähler mit Lichtsignalen zu befehligen, als wären wir in einem 80er-Jahre-Spionagefilm.

Versuch 2: Der triumphale Anfang (und das jähe Ende). Wir wechselten die Taschenlampe. Wir variierten den Abstand. Mein Mann versuchte, seine Blinkfrequenz mit einem Metronom zu synchronisieren. Endlich, nach gefühlten Ewigkeiten und etlichen gescheiterten Anläufen, ein Erfolgserlebnis!

Die ersten beiden Ziffern unserer PIN, blink (für die "1") und blink-blink-blink (für die "3"), schienen korrekt vom Zähler registriert zu werden. Ein kleines, fast unmerkliches Aufleuchten am Display. Wir jubelten innerlich.

DAS WAR ES! Wir hatten den Code geknackt! Die nächsten beiden Ziffern warteten schon auf ihre Übermittlung. Doch bevor wir überhaupt zum nächsten Blink ansetzen konnten, sprang das Display des Zählers plötzlich um. Er hatte, völlig aus dem Nichts, die nächsten beiden Ziffern übersprungen und uns wieder an den Anfang zurück gebracht.

Wir schauten uns an. Ungläubiges Schweigen. Das Gerät hatte beschlossen, dass es genug war mit unseren Eingaben. Es hatte einfach weitergemacht. Eigenmächtig. Ohne uns.

Nach gefühlten 17 weiteren Fehlversuchen, einer schmerzhaften Nackenstarre vom starren Blick auf den Zähler und einem leichten Anflug von Verzweiflung, gaben wir auf. Die Verbrauchsdaten blieben ein Mysterium, eingesperrt hinter einer optischen Barriere, die für den menschlichen Laien schlicht unüberwindbar schien.

Die Bedeutung eines guten Interfaces: Ein Lichtblick

Dieser Nachmittag war frustrierend, aber er hat uns auch etwas Wichtiges gelehrt – und bestätigt, was ich in meiner Arbeit tagtäglich predige:

Ein Interface muss intuitiv sein. Es sollte mich nicht zwingen, Morsezeichen zu lernen oder mir eine Taschenlampe zu kaufen, um eine Funktion zu nutzen, die ich potenziell täglich benötige.

Feedback ist alles. Wenn ich blinke, erwarte ich eine Reaktion! Ein kleines Licht, ein Piepen, irgendetwas, das mir sagt: „Ja, ich habe dein Signal empfangen, du bist auf dem richtigen Weg!“ Ohne Feedback ist es wie reden in den Wind.

Barrierefreiheit ist nicht nur für Menschen mit Behinderung. Auch für genervte Nutzer, die im Halbdunkel mit einer Taschenlampe hantieren, ist ein einfaches, klares Design entscheidend.

Am Ende blieben die Verbrauchsdaten des neuen, smarten Stromzählers sein kleines Geheimnis. Und wir? Wir lernten wieder einmal die harte Lektion: Technologie ist nur dann wirklich smart, wenn ihr Interface sie für uns Menschen auch zugänglich und nutzbar macht. Sonst bleibt sie nur ein schwarzer Kasten mit verborgenen Botschaften.

Über die Autorin

Nora v. Schenckendorff ist geschäftsführende Gesellschafterin bei heinrich+gretchen. Mit über 25 Jahren Erfahrung in der Beratung, strategischen Analyse, Konzeptentwicklung und dem Design web-basierter Systeme bringt sie eine einzigartige Perspektive an die Schnittstelle von Design und Technologie. Sie brennt dafür, digitale Produkte nicht nur schön, sondern auch smart, effizient und zukunftssicher zu gestalten.